Neugierig sein endet für mich nicht mit der Abschlussprüfung
IHK: Was bedeutet diese Auszeichnung für Sie?
Rey: Die Auszeichnung ist eine große Ehre für mich. Es war ein besonderes Gefühl, nach Berlin eingeladen zu werden. Denn die Einladung zeigte mir, dass es sich auszahlt, sich anzustrengen in der Ausbildung. Meine Mühe wurde belohnt.
IHK: Ihre ersten Nähversuche haben Sie in einem Nähkurs gemacht. Wie kam es dazu?
Rey: Ich arbeitete damals bei einer Modekette im Verkauf. Die Sachen gefielen mir schon,
aber oft hätte ich lieber einen anderen Stoff oder Schnitt gehabt. Dadurch kam der
Wunsch auf, selber an der Maschine nähen zu lernen und ich habe mich für den
Nähkurs angemeldet. Kurz darauf habe ich mich bei René Lezard beworben – und
wurde auch gleich genommen.
IHK: Ein einziger Nähkurs hat Ihrem Leben eine völlig neue Wendung gegeben.
Rey: Welche Interessen und beruflichen Vorstellungen hatten Sie eigentlich vorher?"
Vor dem Nähkurs wollte ich auch schon in die Modebranche, ins Merchandising und
mich um die Schaufenster und Kollektionen kümmern. Doch dann wurde Nähen
eben zu meiner Leidenschaft.
IHK: Was ist das Wichtigste, was Sie während Ihrer Ausbildung und in Ihrem
Berufsleben bisher gelernt haben?
Rey: In meinem Beruf ist die Geduld das Allerwichtigste. Es darf auch mal länger dauern,
das Ziel ist, dass am Ende ein perfekt sitzendes Teil dabei rauskommt. Die Passform
ist das A und O – das lerne ich auch in der Meisterschule.
IHK: Welche Vorstellungen hatten Sie von Ihrer Ausbildung bei René Lezard? Inwiefern haben sich diese Erwartungen erfüllt?
Rey: Bei dem Industrieunternehmen lag der Fokus darauf, dass man die gleichen
Arbeitsschritte immer wieder übt. Am Anfang ist das zwar anstrengend, aber man
sieht am Ende, dass sich die Arbeitsweise lohnt. Jetzt bin ich in dieser Hinsicht viel
freier und kann selber entscheiden, wie ich etwas verarbeite.
IHK: In einem Interview sagten Sie, dass Sie keine Billigkleider mögen, sondern qualitativ hochwertige Stücke. Wo macht sich dieses Nachhaltigkeitsdenken in Ihrem Leben noch bemerkbar?
Rey: Ja, ich möchte gerne nachhaltige Stücke herstellen, von denen die Kunden lange
etwas haben. Es darf beispielsweise nicht nach einmal tragen gleich ein Riss in der
Naht sein. Allgemein achte ich darauf, dass ich nicht zu dieser Wegwerf-Generation
gehöre und nachhaltig lebe. Das zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben
und ist wichtig, damit die handwerklichen Berufe erhalten bleiben.
IHK: Nähen ist Ihr Ding. Wer ganz in seiner Tätigkeit aufgeht, gerät Psychologen zufolge in den so genannten Flow-Zustand. Kennen Sie den und wann fühlt sich Ihre Arbeit besonders „fließend“ an?
Rey: Ja, den Flow-Zustand kenne ich sehr gut. Auch während der Ausbildung bin ich ganz
oft noch länger geblieben und habe Teile für mich genäht oder für meine Eltern oder
Freunde. Da konnte ich dann teilweise gar nicht mehr aufhören, weil es mir so viel
Spaß gemacht hat und ich unbedingt das Produkt fertigstellen und ein Ergebnis
sehen wollte.
IHK: Ihr Anspruch an Ihre eigene Arbeit ist offensichtlich hoch. Wie schaffen Sie es, dieses Niveau über Jahre zu halten? Woher kommt Ihre Motivation?
Rey: In der Ausbildung habe ich gelernt: Es geht immer noch besser. Die Motivation
kommt von mir aus. Es war schon immer so, dass ich 100% gegeben und geschaut
habe, wo ich noch etwas optimieren kann. In der Regel ist noch Luft nach oben,
meine Arbeit ist ein lebenslanges Lernen.
IHK: Rückschläge bringen einen bekanntlich weiter. Hatten Sie schon Rückschläge und was haben Sie für sich daraus gelernt?
Rey: Vor meiner Ausbildungszeit war ich noch in der Realschule und wäre da sogar fast
durchgefallen wegen Physik und Chemie. Dann habe ich Schule gewechselt, wo ich
bei der Abschlussprüfung in Physik eine eins geschafft habe. Irgendwie ist damals
bei mir wohl ein Knoten geplatzt. Ich habe gemerkt: Wenn ich mich richtig anstrenge,
dann klappt es doch. Das war ein prägendes Ereignis, eine Art Schlüsselerlebnis.
IHK: Für Ihren Beruf braucht es Geduld. Welche Eigenschaften muss eine gute Modenäherin noch mitbringen?
Rey: Man sollte teamfähig sein. Denn selbst in der Industrie ist es immer eine
Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen, Designern oder Schnittmachern. Da ist es
wichtig, dass man anderen gegenüber aufgeschlossen ist.
IHK: Ohne Input kein Output, sagt man. Wie sorgen Sie dafür, dass Ihnen die Ideen nicht ausgehen?
Rey: In der Schule recherchieren wir sehr viel im Internet oder in unserer Bücherei, wo
schöne alte Modebücher stehen. In Mode- oder Kunstbüchern zu stöbern, macht mir
total Spaß. Oft lasse ich aber auch Eindrücke aus anderen Bereich einfließen.
IHK: Auf Knopfdruck kreativ sein: Ist Leistungsdruck ein Thema für Sie und wie gehen Sie damit um?
Rey: Für mich hat Leistung nichts mit „müssen“ zu tun. Meistens macht mir eine Aufgabe
Spaß, und manchmal brauche ich halt eine Weile, um reinzukommen. Dann starte
ich ganz langsam und arbeite mich schrittweise ans Thema heran, zum Beispiel
mithilfe von Moodboards oder ich lasse mich von Models inspirieren.
IHK: Welche Modeschöpfer faszinieren Sie besonders?
Rey: Ich lasse mich sehr gerne inspirieren von Audrey Hepburn. Sie ist eine echte
Stilikone, man denke an das Kleid aus dem Film „Frühstück bei Tiffany“, in dem sie
richtig berühmt wurde.
IHK: Digitalisierung ist in aller Munde. Inwiefern wirkt sich die auf Ihr Berufsfeld aus?
Rey: Da ist schon eine Angst da, ja. Aber momentan merkt man gerade im
Schneiderhandwerk, dass wieder mehr Kunden das Maßschneidern für sich entdeckt
haben. Viele wollen diese industriellen Ketten gar nicht mehr haben, weil sie ihnen
nicht nachhaltig genug sind. Viele Geschäfte müssen schließen, natürlich wegen
dem Onlineshopping, aber auch, weil der Trend in Richtung Maßschneiderhandwerk
geht. Und man merkt, dass viele Leute wieder anfangen, selbst zu nähen und damit
einen Kontrapunkt setzen. Andererseits müssen wir viel am Computer machen, zum
Beispiel Schnitte erstellen, was für die Arbeit sehr hilfreich ist.
IHK: Welchen Ratschlag würden Sie jemandem geben, der noch ganz am Anfang ist und sich für den Beruf Modenäher/in interessiert?!
Rey: Nicht entmutigen lassen! Auch wenn die Möglichkeiten für die Zukunft etwas
eingeschränkt sind: Wenn einem der Beruf wirklich liegt und man dafür brennt, sollte
man nicht einen anderen lernen, weil man da vielleicht mehr verdient. Die Arbeit soll
in erster Linie glücklich machen.
IHK: Wo sehen Sie sich in 10 Jahren?
Rey: Mein ganz großer Traum ist es, irgendwann ein eigenes Atelier zu haben. In
München oder Würzburg – das steht noch nicht fest. Da lasse ich mich treiben.
IHK: Würden Sie sagen, dass Sie ein ehrgeiziger Mensch sind?
Rey: Ja (lacht), das würde ich sagen. Aber es ist kein übertriebener Ehrgeiz, ich weiß, wo
meine Grenzen sind und möchte auf keinen Fall stur und verbissen rüberkommen.
Ich gebe einfach mein Bestes.
IHK: Was tun Sie, um abends einen freien Kopf zu kriegen?
Rey: Meistens mache ich Yoga oder gehe mit meinem Hund spazieren.
Frau Rey, wir danken für das Interview.